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Rechte FPÖ vor historischem Wahlsieg: Partei mit 30% Wählerpotenzial in Österreich

Fünf gute Jahre verspricht Herbert Kickl derzeit den Österreicherinnen und Österreichern von den Wahlplakaten. „Mutig Neues wagen“, „Dein Herz sagt Ja“ – steht auf weiteren Sujets. Der Mann, der sonst für Brachialrhetorik bekannt ist, sieht darauf ungewöhnlich sanft aus. Er lächelt, die Augen wirken freundlich. Eine Illusion, denn der FPÖ-Chef mag auf der Wahlwerbung zwar nett aussehen, sobald er aber eine Bühne betritt, ledert er los. Beim Wahlkampfauftakt im salzburgerischen Hallein wetterte er über die Festspiele, die in der nahe liegenden Landeshauptstadt gerade stattfanden. Er wolle da gar nicht dabei sein, „bei diesen Heuchlern, bei dieser Inzuchtpartie“. Da war er wieder, der laute Kickl, der hier seine Kernwählerschaft bediente. Wenn Österreich an diesem Sonntag den Nationalrat wählt, könnte es der Rechtsaußen nach der erfolgreichen Europawahl erneut schaffen, stärkste Kraft zu werden. Das könnte die politische Landschaft in Österreich völlig auf den Kopf stellen. Gleich mehrere Faktoren machen diese Wahl zu einer speziellen.

Eine radikalisierte FPÖ erstmals auf Platz eins

Unter Herbert Kickl hat die FPÖ an diesem Sonntag erstmals die Chance, stärkste Kraft zu werden. Eine Partei, gegründet von Altnazis und ehemaligen SS-Leuten, deren aktueller Vorsitzender das Land gesellschaftspolitisch nachhaltig umbauen will. Was die FPÖ darunter versteht, ist im Wahlprogramm mit dem passenden Namen „Festung Österreich. Festung der Freiheit“ nachzulesen: Sie will eine „Remigration“ von unerwünschten Ausländern und das Menschenrecht auf Asyl abschaffen. Irreguläre Migranten und Asylwerber sollen abseits einer Grundversorgung keine medizinische und pflegerische Hilfe bekommen. Überhaupt fordern die Rechten „Homogenität“ und eine Verfassungsbestimmung, in der festgeschrieben wird, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Die FPÖ spricht auch von „Transgender-Gehirnwäsche“, die aus ihrer Sicht schon in der Schule beginnt. Dort will sie eine Meldestelle gegen politisierende Lehrer einrichten, um „notfalls Konsequenzen“ gegen Lehrkräfte zu ziehen.

Um Stimmen kämpft die FPÖ auch mit vermeintlich längst vergangenen Pandemie-Themen: Ein Hilfsfonds soll Menschen entschädigen, Corona-Strafen sollen vollständig zurückgenommen werden. Die Corona-Politik seines Landes ist für Parteichef Kickl ohnehin ein rotes Tuch: Er ließ sich nicht nur nicht impfen, sondern warb auch für ein Pferdeentwurmungsmittel. Die Aufarbeitung der Pandemie steht aber nicht nur aus persönlicher Überzeugung weiterhin auf der FPÖ-Agenda. Es war auch ein Thema, dass der Partei nach der „Ibiza-Affäre“ geholfen hat, Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen.

Mit Corona zu neuer Kraft

„Mit den anderen aktuellen Krisen wie dem Krieg in der Ukraine und der Teuerung hat sich zudem ein allgemein pessimistisches gesellschaftliches Klima entwickelt, das der FPÖ ebenfalls genützt hat“, sagt sie. FPÖ-Kampfthemen wie Migration und Abschiebungen überzeugen Wähler zusätzlich. Trotz aller Höhen und Tiefen mit Abspaltungen, Streit und Skandalen, die die FPÖ durchlebt hat, kommt die Partei mittlerweile auf ein Wählerpotenzial von 30 Prozent.

Julia Partheymüller, Politikwissenschaftlerin

Genauso wie die Skepsis gegenüber der EU und ihren Institutionen – „ein traditionelles FPÖ-Thema und in Österreich sehr dominant“, sagt Partheymüller. „Trotz aller Höhen und Tiefen mit Abspaltungen, Streit und Skandalen, die die FPÖ durchlebt hat, kommt die Partei mittlerweile auf ein Wählerpotenzial von 30 Prozent“, sagt die Expertin. In jüngsten Umfragen liegen die Rechten bei 27 Prozent.

Keine FPÖ-Regierung ohne Kickl

Doch trotz dieses Erfolgskurses hat die FPÖ ein Problem: Kaum jemand will mit ihr koalieren. Die konservative ÖVP regiert mit ihr als Juniorpartner derzeit in drei Ländern, auf Bundesebene wäre sie einer Zusammenarbeit ebenfalls nicht abgeneigt – nur Herbert Kickl ist manchen zu radikal. Ohnehin hat die ÖVP kaum die besten Erinnerungen an Kickl: Als Innenminister unter dem damaligen ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz sollte er die Ibiza-Affäre um seinen Parteigenossen Heinz-Christian Strache aufarbeiten, galt aber als befangen. Weil er den Rücktritt verweigerte, warf Bundespräsident Alexander van der Bellen ihn dann auf Vorschlag von Kanzler Kurz raus.

Als neuer FPÖ-Chef betreibt er seitdem Fundamentalopposition, verschob die Grenzen des Sagbaren immer wieder nach Rechtsaußen. Er rief das Projekt „Volkskanzler“ aus, so nannten einst die Nationalsozialisten Adolf Hitler. Und wetterte gegen „Systemmedien“ und „Systemparteien“, ebenfalls Begriffe aus der NS-Zeit. Doch mit Blick auf die Wahl gab sich der Rechtsaußen immer sanfter, betonte die Gemeinsamkeiten seiner Partei mit der ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ. Von seinem Anspruch, Regierungschef zu werden, lässt er aber nicht ab. Dass er sich wie Jörg Haider 1999 in die zweite Reihe zurückzieht, um jemand anderen vorzuschicken, ist wohl ausgeschlossen.

Der Bundespräsident könnte Geschichte schreiben

Nicht nur Herbert Kickl, auch Bundespräsident Alexander van der Bellen könnte in den kommenden Wochen die Geschicke des Landes beeinflussen. Eine FPÖ-geführte Regierung könnte der 80-Jährige verhindern, nur er kann den Auftrag zu einer Regierungsbildung geben. Nach dem Wahlabend werden deshalb alle Augen auf das Staatsoberhaupt gerichtet sein.

„Man spricht daher davon, dass Österreich ein semipräsidentielles System sei, wo dem Bundespräsidenten mehr Befugnisse zustehen als etwa dem Staatsoberhaupt in Deutschland“, sagt Sylvia Kritzinger, Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften an der Universität Wien. Ob der ehemalige Grünen-Politiker van der Bellen aber dem Rechtsaußen Kickl im Falle eines Wahlsiegs den Auftrag erteilt und ihn sondieren lässt, ist fraglich. Die Verfassung lässt dem Staatsoberhaupt hier freie Hand. Argumentieren könnte er mit seinen Werten und der Sorge um das Wohl der Republik. Diese hat er mit Blick auf die FPÖ schon mehrmals geäußert. Er betonte in einem Interview, dass er keine Partei unterstützen werde, die anti-europäische Positionen vertritt und den russischen Angriffskrieg nicht eindeutig verurteilt. Dennoch wäre es ein Novum, wenn das Staatsoberhaupt den Wahlsieger nicht mit der Regierungsbildung betrauen würde.

Regiert in Österreich erstmals ein Dreierbündnis?

Um eine FPÖ-geführte Regierung zu verhindern, gilt mittlerweile auch eine Partnerschaft aus ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos als aussichtsreich. Die Liberalen könnten hier als kleinster Partner erstmals mitregieren – und machen aus diesem Wunsch auch kein Geheimnis mehr. Die Politikwissenschaftlerin Sylvia Kritzinger hält eine Koalition aus mehreren Parteien für absolut möglich: „In Ländern wie den Niederlanden, die es gerade gezeigt haben, aber auch in Italien ist es ganz normal gewesen, dass vier oder fünf Parteien Koalitionen gebildet haben.“

Experiment Minderheitsregierung

Denkbar ist aber auch eine Minderheitsregierung – in Österreich eher unüblich. Die ÖVP könnte dann auf die Stimmen der rechten FPÖ setzen, in den Bereichen Wirtschaft und Migration gibt es besonders viele Schnittmengen. „Eine Minderheitsregierung ist in der politischen Kultur Österreichs jedoch nicht verankert“, sagt die Politologin Kritzinger. „Es ist natürlich viel Verhandlungsarbeit, man muss sich im Parlament jedes Mal neue Mehrheiten suchen, oder jemanden, der bestimmte Vorhaben unterstützt. Das ist anstrengender als eine Koalitionsregierung mit einem Übereinkommen.“ Der bisher erste Versuch dieses Modells liegt lange zurück: 1970 ließ sich der Sozialdemokrat Bruno Kreisky ein Jahr lang von der FPÖ tolerieren, ehe es zu Neuwahlen kam. Aus diesen ging Kreisky als großer Sieger mit absoluter Mehrheit hervor.

Ob sich dies im Fall von ÖVP-Mann Karl Nehammer so entwickelt? Mit einer Duldung unter der FPÖ lassen sich zwar gemeinsame Vorhaben realisieren, aber Herbert Kickl gilt als gewiefter Stratege. Er kann die Konservativen vor sich her treiben – ihre Verfehlungen aufzeigen. Dass er Fundamentalopposition kann, hat er längst bewiesen. Dass er sich damit nicht begnügen will, ist auch klar.