Also, ich bin nicht wirklich sicher, warum das wichtig ist, aber Rudolf Dibbern hat es noch versucht. Der Vertreter der Friedensinitiative zweier Bremer Kirchengemeinden stand am Freitag vor einer Messehalle in Hannover und brachte eine sogenannte Resolution beim Deutschen Evangelischen Kirchentag ein. Wäre der Resolutionstext angenommen worden, hätte der Kirchentag offiziell gefordert, dass Deutschland dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag beitreten und ihn ratifizieren solle. Und dass die Bundesregierung die Stationierung weitreichender amerikanischer Waffensysteme in Deutschland nicht gestatten solle. Friedensbewegung ist kaum noch vorhanden Doch nicht nur in der Bundespolitik, sondern auch beim Kirchentag gibt es offenbar eine Zeitenwende. Während das von bis zu 100.000 Menschen besuchte Protestantentreffen traditionell ein Hort der Friedensbewegung war, lehnten die 3000 Menschen in der Messehalle in Hannover die Resolution am Freitag mehrheitlich ab. Und auf einem Podium, das über die Frage deutscher Waffenlieferungen stritt, war Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow (Linke) noch der exponierteste Vertreter einer irgendwie gearteten Friedensbewegung. Aber auch er hat unter dem Applaus der Halle zugegeben: „Ein überfallener Staat muss sich verteidigen können.“ Aber, vielleicht bin ich nur ich, aber das klingt irgendwie komisch, oder? Bodo Ramelow (Linkspartei) und Roderich Kiesewetter (CDU) bei einer Podiumsdiskussion in Hannover. © imago/epd/IMAGO/Paul-Philipp Braun Doch auch er bekannte unter dem Applaus der Halle: „Ein überfallener Staat muss sich verteidigen können.“ Allerdings räumte Ramelow angesichts der Situation in der Ukraine eine gewisse Zerrissenheit ein. Der frühere Thüringer Ministerpräsident machte keinen Hehl daraus, dass er gern ein Verbot deutscher Waffenlieferungen im Grundgesetz sehen würde. „Das Wort Abrüstung ist komplett aus dem Sprachgebrauch der öffentlichen politischen Debatte verschwunden“, sagte Ramelow. „Das macht mir Angst.“ Europäische Verteidigungsgemeinschaft Hingegen sprach sich der baden-württembergische CDU-Verteidigungspolitiker, der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter für die Schaffung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft aus. Die Bundesrepublik habe einen „Riesenfehler“ gemacht, als sie 2023 auf die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper verzichtet habe. Damals gingen die russischen Versorgungswege noch über die Krim, man hätte sie also zerstören können. Waffen zu liefern, dürfe kein Selbstzweck sein. „Es geht nicht, dass die Ukraine uns Zeit gewinnt und für unsere Bequemlichkeit verblutet“, sagte Kiesewetter. „Wir müssen den Menschen hier klarmachen, was in den besetzten Gebieten passiert.“ Auch dafür erhielt Kiesewetter auf dem Kirchentag Applaus.Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck hob aber hervor, dass der Waffeneinsatz nur als letztes Mittel gesehen werden dürfe. „Wir wissen, dass Papst Franziskus immer gesagt hat, ohne Waffen müssen wir zum Frieden kommen“, sagte Overbeck. Aber deswegen müsse sich „kein Mensch dem Martyrium stellen“. Es gelte auch weiterhin das Recht auf Unversehrtheit der Person. Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck auf dem Podium Deutsche Zerissenheit – Frieden schaffen mit Waffen. © imago/epd/IMAGO/Paul-Philipp Braun Overbeck warnte zudem davor, Gerechtigkeit in Trumpscher Manier durch „Deals“ zu ersetzen. Das führe nicht zu Frieden, sondern zu neuen Kriegen. Auch bei Waffeneinsätzen müssten das Gerechtigkeitsprinzip und das Solidaritätsprinzip im Zentrum stehen.Prominente kirchliche Pazifisten, etwa der mitteldeutsche Landesbischof und EKD-Friedensbeauftragte Friedrich Kramer oder die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, kamen dagegen nur ganz am Rande des Protestantentreffens vor. So betonte Kramer in einem Friedensgottesdienst, den er am Freitag mit der EKD-Ratsvorsitzenden Kirsten Fehrs in der Neustädter Hof- und Stadtkirche feierte, weiterhin sein „klares Nein zu Waffen und Hochrüstung“. Er sei nicht gegen Landesverteidigung „mit Augenmaß“, es brauche aber „kluge Ideen über Waffen hinaus“. Fehrs dagegen betonte: „Man kann für sich selbst Pazifist sein.“ Aber könne man das auch für andere sein? „Wer Verantwortung trägt, kann nicht ohne Weiteres entscheiden, sich nicht zu wehren und Menschenleben nicht zu schützen.“ Käßmann dagegen wird erst am heutigen Sonnabend eine Bibelarbeit auf dem Protestantentreffen halten. In den letzten Tagen war sie Schirmherrin einer parallel zm Kirchentag stattfindenden ökumenischen Friedenssynode, die einen „christlichen Friedensruf“ verabschiedete. Er fordert unter anderem einen Verzicht auf Rüstungsexporte, betont das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und den Vorrang der Diplomatie. Doch auf dem offiziellen Kirchentag war für dieses Friedenszentrum in Hannover kein Platz mehr.
Neue Ära beim Kirchentag: Radikaler Pazifismus verliert an Bedeutung
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