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Analyse der Wahlversprechen: Spitzenkandidaten auf dem Prüfstand

Am kommenden Sonntag wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Wenige Tage zuvor stellten sich die Spitzenkandidaten in der rbb-Sendung „Ihre Wahl“ Fragen zu den drängendsten Themen im Wahlkampf. rbb|24 hat die wichtigsten Aussagen geprüft.

Mehr als 100 Minuten haben sich Spitzenvertreter von sieben Parteien in der rbb-Sendung „Ihre Wahl“ einen Schlagabtausch geliefert. Besonders kontrovers wurde es beim Thema Migration. Aber auch am Hochwasser schieden sich die Geister.

Mehr als 100 Minuten wurde diskutiert und gestritten, über Biberschäden und fehlende Fachkräfte, über Zuwanderung, Tesla und Windenergie – unter anderem. Die sieben Spitzenkandidaten der laut Umfragen aussichtsreichsten Parteien für den Einzug in den Landtag stellten sich am Dienstagabend in der rbb-Sendung „Ihre Wahl“ den Fragen. Wieviel Wahrheitsgehalt lag in den Statements vor der Kamera?

rbb|24 hat ausgewählte Aussagen jedes der sieben Brandenburger Politiker geprüft. Die Kandidaten sind nach dem Ergebnis ihrer jeweiligen Partei bei der letzten Landtagswahl in Brandenburg 2019 von höher nach niedriger geordnet. Da das BSW damals noch nicht zur Wahl stand, folgt es am Ende.

Kandidatencheck – Dietmar Woidke (SPD)

„Tesla ist, was den Wasserverbrauch betrifft, nicht ein negatives Beispiel, sondern Tesla ist ein positives Beispiel. Weil Tesla auf hundertprozentiges Recycling von dem in der Produktion verwendeten Wasser setzt. Das heißt, für die Produktion selber wird kein Frischwasser, schon gar kein Trinkwasser verbraucht. Und Tesla hat in den letzten Jahren deutlich weniger Wasser verbraucht, als ihm im Vertrag zusteht.“

Elon Musks Gigafactoy war einer der großen Streitpunkte im Kandidatencheck des rbb – vor allem der mutmaßlich hohe Wasserverbrauch. Für den amtierenden Ministerpräsidenten von Brandenburg, Dietmar Woidke (SPD), ist Tesla jedoch ein „positives Beispiel“, sagte er in der Diskussion der Spitzenkandidaten. Denn die Firma setze auf „hundertprozentiges Recycling von dem in der Produktion verwendeten Wasser“.

Das deckt sich zumindest mit dem, was die Firma selbst sagt. Sie recycle bis zu 100 Prozent des Wassers aus der Produktion in einer hochmodernen Kläranlage. Wie die zuständige Projektleiterin dem rbb sagte, werden im Werk Abwasser aus der Produktion wiederverwendet. „Kein Frischwasser“ und „schon gar kein Trinkwasser“ werde in der Produktion verbraucht, fügte der Ministerpräsident, für den die Konzernansiedlung ein großer Erfolg war, noch hinzu. Nur für andere Zwecke brauche man das wertvollle Nass, etwa für die Duschen der Mitarbeiter. Auch diese Information stammt von Tesla selbst: Das Frischwasser werde vor allem für Sanitäranlagen für die 12.500 Angestellten in dem Werk verbraucht.

Tesla habe zudem „in den letzten Jahren deutlich weniger Wasser verbraucht, als ihm im Vertrag zusteht“, so Woidke weiter. 1,8 Millionen Kubikmeter wären die maximale Abnahmemenge, auf die sich Tesla Firma mit dem Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE) verständigt hat. Verbraucht hat die Fabrik laut übereinstimmenden Medienberichten 2023 knapp 500.000 Kubikmeter.

Spitzenkandidat im rbb-Interview – Woidke bekräftigt Rücktritt im Fall eines AfD-Sieges

Brandenburgs Ministerpräsident Woidke hat nochmals seinen Rücktritt im Falle eines Wahlsieges der AfD bekräftigt. Er habe geschworen, Schaden vom Land abzuhalten und werde Verantwortung übernehmen, wenn ihm das nicht gelinge.

Genau wissen kann es aber wohl nur der WSE. Doch der Verband wollte auf Nachfrage des rbb keine Details zum Vertrag mit Tesla herausgeben. Endgültig prüfen lässt sich die Aussage also nicht.

Recht hat Woidke allerdings mit der Aussage, dass andere Unternehmen deutlich mehr Wasser benötigen, das zeigen Daten des Umweltministeriums von 2023. Tesla ist nicht in den Top 10 in der Mark. Was Woidke nicht sagt: Streit zwischen Wasserverband und Tesla gab es zuletzt durchaus. Der Autobauer soll im Schmutzwasser wiederholt Grenzwerte von Stoffen wie Stickstoff oder Phosphor überschritten haben. Aber: Eine Gefahr für die Trink- und Grundwasserqualität bestehe laut Wasserverband nicht, berichtete der rbb. Und weil das auch nicht direkt etwas mit dem Wasserverbrauch zu tun hat, bestehen die Aussagen von Woidke den Check.

Kandidatencheck – Hans-Christoph Berndt (AfD)

„Die Situation in den Parks, im öffentlichen Raum, in den Zügen treibt Fachkräfte aus dem Land. Wir haben stündliche Messerattacken, Gruppenvergewaltigungen. Das treibt doch normale Menschen aus dem Land.“

AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt hat im rbb-Kandidatencheck behauptet, dass es „stündliche Messerattacken“ gebe. Eine Aussage, die irreführend ist: Denn Berndt lässt offen, ob er Vorfälle in Brandenburg oder in ganz Deutschland meint. Der Unterschied spielt hier aber eine wichtige Rolle.

Dass es nicht um bundesweite Zahlen gehen kann, lässt der Kontext vermuten: In der Debatte ging es zu diesem Zeitpunkt um fehlende Fachkräfte – in Brandenburg, nicht Deutschland allgemein.

Laut einem Sprecher des Polizeipräsidiums Brandenburg wurden im vergangenen Jahr 680 Fälle von Messerangriffen in Brandenburg verzeichnet. Auf 365 Tage heruntergebrochen ergibt das im Schnitt 1,86 Angriffe pro Tag und 0,08 Angriffe pro Stunde. Die Aussage, dass es jede Stunde Messerangriffe in Brandenburg gibt, ist also deutlich überzogen.

Berndt legt zudem nahe, dass diese Straftaten vor allem Menschen mit Migrationshintergrund begangen haben. Er spricht zuvor von „grenzenloser Asylmigration“. In der Forschung gibt es aber keine Belege dafür: Eine Studie [krimpub.krimz.de] zur Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland kam im Jahr 2021 zu dem Ergebnis, „dass es keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen Messerkriminalität und schwerer Gewaltkriminalität insgesamt hinsichtlich der untersuchten Variablen, insbesondere der Staatsangehörigkeit, gibt.“

Die Zahlen der Polizei Brandenburg geben Auskunft über die Herkunft der Tatverdächtigen: Demnach waren 445 (65,44 Prozent) deutsche Staatsbürger und 204 (30 Prozent) nichtdeutscher Herkunft.

Die Aussage lässt sich aber auch für ganz Deutschland prüfen. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts gab es 2023 13.844 Messerangriffe. Das ergibt im Schnitt 37,93 Angriffe pro Tag und 1,58 Angriffe pro Stunde. Auf ganz Deutschland bezogen hat Berndt also Recht. Allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Unter „Messerangriffen“ erfasst das BKA auch Taten, bei denen Gewalt mit einem Messer angedroht aber nicht ausgeführt wird.

Spitzenkandidat im rbb-Interview – AfD-Fraktionschef Berndt wirft Woidke Versagen in der Migrationspolitik vor

Hans-Christoph Berndt hat angekündigt, nach der Brandenburg-Wahl allen Parteien im Landtag Gespräche anzubieten, falls die AfD stärkste Kraft werde. Scharf griff er die Politik von Ministerpräsident Dietmar Woidke an.

In diesem Zusammenhang spricht Berndt auch von Gruppenvergewaltigungen – wobei die Formulierung offen lässt, ober er auch hier „stündliche“ Vorfälle meint. Tatsächlich erfasst die Brandenburger Polizeistatistik für 2023 im gesamten Jahr 2023 314 Fälle von Vergewaltigungen. Bei 38 Taten waren mindestens zwei Täter oder Täterinnen beteiligt. 212 Tatverdächtige waren deutsche Staatsbürger, 62 nichtdeutsche. Dass es Gruppenvergewaltigungen gibt, stimmt. Die Straftaten ausschließlich mit Menschen zu verbinden, die einen Migrationshintergrund haben, ist aber falsch.

Hans-Christoph Berndt stellt außerdem die These auf, dass Fachkräfte aus Brandenburg wegziehen, weil „die Situation in den Schulen, in den Parks, im öffentlichen Raum, in den Zügen“ so schlimm sei.

Tatsächlich aber steigt die Einwohnerzahl in Brandenburg: Laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg gab es 2023 96.078 Zuzüge und 66.292 Fortzüge. Und erfasst wird nicht, welchen Berufs- oder Bildungsabschluss die Menschen haben, wenn sie Brandenburg verlassen.

Kandidatencheck – Jan Redmann (CDU)

„Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung in verschiedenen Branchen. In meinem Wahlkreis in Neuruppin gibt es ein Krankenhaus. Dort werden Operationen abgesagt. Nicht, weil die Ärzte fehlen, sondern weil beispielsweise die OP-Schwester fehlt. Und die OP-Schwestern, die aus Ankara gerne nach Neuruppin kommen würden, zu lange auf einen Termin in der Botschaft warten.“

Das Universitätsklinikum Ruppin-Brandenburg ist das einzige Krankenhaus in Neuruppin. Tatsächlich sei es so, dass die Klinik mit fehlendem Pflegepersonal kämpfe. Das hat Landrat Ralf Reinhardt dem rbb bereits im Februar gegenüber geäußert: Es fehle an Pflegekräften, um alle Dienstleistungen abzudecken. Das Universitätsklinikum teilt rbb24 jedoch auf Nachfrage mit: „Es mussten keine Operationen aufgrund fehlenden Pflegepersonals abgesagt werden.“ Redmanns Aussage ist in diesem Punkt also nicht richtig.

Redmann nennt als Grund für den Personalmangel auch die langen Wartezeiten in Botschaften; zudem mache es Brandenburg den ausländischen Fachkräften bei der Anerkennung ihrer Berufsqualifikationen schwer. „Die OP-Schwestern, die aus Ankara gerne nach Neuruppin kommen würden, warten zu lange auf einen Termin in der Botschaft“, sagt er im Kandidatencheck.

Der Beruf Krankenpfleger:in ist ein sogenannter reglementierter Beruf. Deren Anerkennung ist bundesweit gesetzlich geregelt [anerkennung-in-deutschland.de]. Das gilt für die Bereiche Gesundheit, Sicherheit oder Soziales. Die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen erfolgt durch die zuständigen Stellen der jeweiligen Bundesländer, nicht durch Botschaften.

Spitzenkandidat im rbb-Interview – CDU-Chef Redmann will für Aufbruchstimmung im Land sorgen

Der Landes- und Fraktionschef der CDU in Brandenburg fordert, effektiver gegen Islamisten vorzugehen. Dazu sollte das Brandenburger Polizeigesetz geändert werden. Als Ministerpräsident möchte Jan Redmann aber auch für mehr Zuversicht sorgen.

Die deutschen Botschaften in der Türkei spielen in dem Anerkennungsverfahren jedoch eine wichtige Rolle. Denn sie stellen türkischen Fachkräften das notwendige Visum für ihre Tätigkeit in Deutschland aus. In allen drei der deutschen Botschaften in der Türkei kommt es momentan zu längeren Wartezeiten bei der Visumsausstellung (1-11 Monate).
Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz (MSGIV) ist in Brandenburg die Stelle, die prüft, inwieweit die ausländische Qualifikation mit dem entsprechenden deutschen Referenzberuf gleichwertig ist. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Anerkennungsantrags variiere, heißt es vom zuständigen Ministerium. Auf Anfrage teilt das MSGIV rbb|24 mit, dass die Ausstellung der Berufserlaubnis in der Regel innerhalb von ein bis zwei Wochen erfolge – wenn alle notwendigen Unterlagen vollständig eingereicht worden sind. Insgesamt könne ein Anerkennungsverfahren typischerweise innerhalb von einem bis zwei Jahren abgeschlossen werden, abhängig von den jeweiligen Anforderungen, so das Ministerium.

Kandidatencheck – Benjamin Raschke (Grüne)

„Insgesamt brauchen wir viel mehr Tempo beim Klimaschutz, beim Hochwasserschutz und auch bei der Unterstützung für den Katastrophenschutz. (…) Wir haben keine Gleichbehandlung von Feuerwehr und Katastrophenschutz in Brandenburg. Wenn ich eine Ausbildung machen will, eine Fortbildung machen will beim Katastrophenschutz oder Verdienstausfall haben möchte, bin ich noch schlechter gestellt. (…) Wir haben in Brandenburg für den Fall, dass ein Dorf absäuft, nicht genug Menschen die da reinfahren können, nicht genug Boote, um dort Hab und Gut, Menschleben zu retten. Wir haben nicht genug Wasserettungszüge.“

Für extreme Hochwetterlagen sei Brandenburg nicht gut genug gerüstet, sagte der Co-Spitzenkandidat der Grünen, Benjamin Raschke, im rbb-Kandidatencheck. „Wir haben nicht genug Wasserrettungszüge, deswegen, wenn wir wirklich vorankommen wollen, müssen wir da was tun.“

Das stimmt weitgehend – aber nicht in allen Details. Ob es genug Kapazitäten zur Wasserrettung in Brandenburg gibt, hängt davon ab, von welchem Szenario man ausgeht. Eine Gefahrenanalyse des brandenburgischen Innenministeriums sieht vor, dass alle Landkreise und kreisfreie Städte eigene „Schnelleinsatzgruppen Wassergefahr“ vorhalten. Das wären 18 Stück (14 Landkreis + vier kreisfreie Städte). Laut einer Antwort des Ministeriums auf eine kleine Anfrage im Landtag gibt es momentan allerdings nur 14 dieser „Schnelleinsatzgruppen Wassergefahr“. Vier Landkreise haben somit keine.

„Diese 14 Schnelleinsatzgruppen Wassergefahr würden im Bedarfsfall zusammengezogen werden müssen“, erklärt Gordon Teubert, der Landeskatastrophenschutzbeauftragte des DRK. „Das wären fünf Wasserrettungszüge für das Land Brandenburg.“ Dieser Fall sei aber weder trainiert noch strukturiert vorgeplant, warnt der Experte. „Sie sind also nicht realistisch einsatzfähig.“

Das Innenministeriums teilt weiterhin mit, es könne auf neun Wassergefahren-Züge zurückgegriffen werden. Gemeint sind Einheiten mit Booten und Technik zur Wasserrettung. Zwei davon kämen jeweils von der DLRG und vom Roten Kreuz Brandenburg. Daniel Keip von der DLRG Brandenburg widerspricht: „Die Zahlen des Ministeriums decken sich nicht mit denen, die wir gemeldet haben. Wir und das Rote Kreuz können jeweils nur einen Zug stellen.“ Gordon Teubert vom DRK Brandenburg bestätigt diese Aussage auf rbb-Nachfrage.

Insgesamt besteht also noch Nachholbedarf, wie die beiden vom rbb befragten Experten erklären. Die Aussage von Grünen-Kandidat Benjamin Raschke ist also korrekt.

Spitzenkandidatin im rbb-Interview – Grünen-Politikerin Töpfer will keine dauerhaften Grenzkontrollen

Die Brandenburger Spitzenkandidatin der Grünen, Antje Töpfer, hat sich gegen dauerhafte Grenzkontrollen ausgesprochen. Stattdessen müssten in der Migrationsfrage bestehende Gesetze besser angewandt werden.

Raschke moniert zudem: „Wir haben keine Gleichbehandlung von Feuerwehr und Katastrophenschutz in Brandenburg. (…) Wenn ich eine Ausbildung machen will, eine Fortbildung machen will beim Katastrophenschutz oder Verdienstausfall haben möchte, bin ich noch schlechter gestellt.“

Diese Aussage ist so pauschal nicht richtig. Im Katastrophenfall haben Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) die gleichen Rechte wie Mitglieder der Feuerwehr. Auch Einsatzkräfte der freiwilligen Rettungsdienste wie das DRK oder die DLRG haben die gleichen Rechte im Katastrophenfall. Dazu gehört: 1. Das Recht den Arbeitsplatz im Falle eines Einsatzes zu verlassen. 2. Lohnfortzahl