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Union Berlin: Ärger über lange Nachspielzeit in der Bundesliga

Als der Vierte Offizielle am Ende der regulären Spielzeit seine digitale Tafel auf die Zahl „8“ stellte und mit beiden Armen in die Luft reckte, reagierte Bo Svensson zunächst nur mit einem kurzen, emotionslosen Blick. Erst nach dem Siegtor des Gegners ließ der Trainer des 1. FC Union seinen Frust raus. „Ich finde, acht Minuten sind extrem in einer Halbzeit, wo es keinen VAR gibt. Wenn du dann von den gegnerischen Spielern hörst, dass sie das auch nicht verstanden haben, dann gibt es vielleicht Erklärungsbedarf“, sagte Svensson auf der Pressekonferenz nach dem 0:1 gegen Borussia Mönchengladbach. „Das habe ich in der Bundesliga bis jetzt nicht gesehen.“

Die lange Nachspielzeit wollte Svensson zwar nicht als Ausrede gelten lassen. Seine Mannschaft hätte die Situation besser lösen müssen, betonte der Union-Trainer. Doch seine Kritik eröffnete gleichzeitig wieder eine Frage, die Fans, Trainer und Zuschauer in den vergangenen Jahren immer wieder bewegt hat: Wie viel Nachspielzeit ist angemessen?

Gladbach gab es in Halbzeit zwei viele Unterbrechungen

Am Sonnabend war das eigentlich ein klarer Fall. In einer zähen und zweikampfbetonten zweiten Halbzeit kam es zu vielen Spielunterbrechungen. In der 58. Minute musste Gladbachs Ko Itakura rund zwei Minuten behandelt werden. Später erwischte es auch Diogo Leite, weshalb das Spiel für diesmal zweieinhalb Minuten unterbrochen wurde. Dazu kamen 53 Sekunden nach einer Schwalbe von Kevin Stöger und zwei Minuten und 15 Sekunden, als Hollerbach nach einem Zweikampf mit Joe Scally aus der Nase blutete. Nimmt man die fünf Einwechslungen und die vielen kleineren Unterbrechungen dazu, kommt man sogar auf mehr als die acht Minuten. Insofern gab es eigentlich überhaupt keinen Erklärungsbedarf seitens des Schiedsrichters. Auch, wenn es keinen VAR-Einsatz gab.

11,61 Minuten betrug die durchschnittliche Nachspielzeit bei der WM 2022 in Katar

Komplett grundlos war Svenssons Argumentation aber nicht. Denn bis zur Einführung des Videobeweises wären acht Minuten Nachspielzeit tatsächlich nur im Extremfall vorstellbar gewesen. Erst in den letzten Jahren, als die VAR-Entscheidungen zu langen Unterbrechungen führten, wurde mehr nachgespielt. Bei der WM 2022 uferte das regelrecht aus, mit einer durchschnittlichen Zusatzzeit von 11,61 Minuten. Das wurde vielerorts als übertrieben empfunden, und so setzt man in der Bundesliga wie auch in anderen europäischen Ligen auf einen gemäßigten Mittelweg. Dabei wird immer wieder am Regelwerk getüftelt, doch immer gesundem Menschenverstand. „Es ist nicht generell so, dass wir die Spiele extrem ausdehnen wollen“, sagte Lutz Wagner, Schiedsrichterlehrwart des DFB vergangenes Jahr im Interview mit der Sportschau.

Tomas Cvancara setzt sich im Kopfballduell mit Unions Diogo Leite durch und köpft zum 1:0-Sieg für die Gladbacher ein. © Imago/Ulrich Hufnagel

So kommt es tatsächlich eher selten vor, dass alle Unterbrechungen wirklich genau nachgespielt werden. Die längste Nachspielzeit der Bundesliga-Geschichte stammt immer noch aus dem Jahr 2017 (also vor der Einführung der VAR). Damals gab es im Spiel zwischen Köln und Hamburg 13 Minuten zusätzlich, weil sich der damalige Schiedsrichter Felix Brych verletzt hatte und ausgewechselt werden musste.

Sonst bleibt die Nachspielzeit nicht nur eine Frage der Stoppuhr, sondern vor allem eine des Feingefühls. Und das ist – wenn alle ehrlich sind – wahrscheinlich auch gut so. Nur: es führt dann immer wieder zu Beschwerden und Meinungsverschiedenheiten.

Dabei wären die Alternativen auch nicht unproblematisch. Die Einführung einer Nettospielzeit, wie es sie im Basketball oder Eishockey gibt, wäre ein ziemlich radikaler Schritt. Ansonsten könnte man auch der Unparteilichkeit der Offiziellen auch einfach vertrauen und deren Entscheidungen kommentarlos respektieren. So wie beispielsweise im Rugby oder Cricket. Im modernen Profifußball bleibt das aber wohl eine Wunschvorstellung.