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Berlin. Der Defa-Film „Das siebente Jahr“ erzählt von einer Ehekrise im Alltag der DDR. Und kann in unserer Filmreihe wieder entdeckt werden.

Als die ARD ab 2017 ihre „Charité“-Mehrteiler ausstrahlte, war der Sender stolz darauf, die Reihe immer aus Sicht einer Frau zu erzählen. Als ob das noch etwas Besonderes wäre! Das hatte die Defa schon 50 Jahre zuvor in „Das siebente Jahr“ getan, ein Film, der auch in der Charité spielte, ja dort sogar gedreht werden durfte. Aber da ging es nicht um Halbgötter in Weiß, auch nicht um Herzschmerz im Arztkittel, wie in all den Krankenhaussoaps „Schwarzwaldklinik“ bis „In aller Freundschaft“.

Der Film wurde 1969 inszeniert von Frank Vogel, dessen berühmtester Film „Denk bloß nicht ich heule“ aus dem Jahr 1965 wie so viele Filme dieses Jahrgangs im Giftschrank landete und erst 1990 uraufgeführt wurde. „Das siebente Jahr“ war sein erster Langfilm danach und zeigt den Alltag einer arbeitstätigen Frau. Was damals in der DDR durchaus erwünscht und gewollt, in der Bundesrepublik, wo der Film schon zwei Jahre später im Fernsehen ausgestrahlt wurde, aber noch keineswegs selbstverständlich war. Aber der Film zeigte auch, wie sie als Ehefrau und Mutter unter Doppelbelastung steht und diesen Stress kaum aushält.

Eine moderne Ehe mit doch altmodischer Rollenverteilung

„Das siebente Jahr“ gehört nicht zum Kanon jener Defa-Filme, die immer wieder gezeigt werden, um die Geschichte der DDR zu spiegeln – oder gerade das, was dem Arbeiter- und Bauernstaat nicht genehm war und verboten wurde. Und doch sollte auch dieser Film wieder entdeckt werden. Weil er einen ganz unverstellten Blick auf einen Alltag im Ost-Berlin der späten 60er-Jahre zeigt. In der Filmreihe „Hauptrolle Berlin“, in der die Berliner Morgenpost gemeinsam mit dem Zoo Palast an jedem ersten Dienstag im Monat einen waschechten Berlin-Film zeigt, ist er nun noch einmal zu sehen.

Gleich anfangs steht die Herzchirurgin Barbara Heim (Jessy Rameik) da morgens vor dem Spiegel und geht im Kopf durch, welche Herzoperation heute ansteht und dass sie danach noch ihr Kind vom Kindergarten abholen muss. Dann fällt ihr ein, dass in sieben Tagen ihr Hochzeitstag ansteht. Das siebente Jahr! Ist das eigentlich eine Glücks- oder Unglückszahl, fragt sie sich. „Das verflixte siebte Jahr“, so hieß bekanntlich ein US-Klassiker mit Marilyn Monroe. Dass die meisten Ehen im siebten Jahr geschieden werden, ist aber nicht nur ein Märchen des Volksmunds, das hat eine Studie erst vor einem Jahr statistisch belegt. Und auch um die Ehe der Herzchirurgin sieht es nicht gut aus.

Nach den anstrengenden Operationen muss sich noch Barbara abends um ihre Tochter Gabi (Bettina Mächler) kümmern. Sie ist verheiratet mit Günter (Wolfgang Kieling), einem Theaterschauspieler, der selten vor Mitternacht von einer Vorstellung zurückkehrt, wenn sie schon todmüde auf dem Sofa liegt. Und da ist noch ihre kleine Tochter, die sie morgens zum Kindergarten bringen und abends abholen muss. Schon der Krankenhausalltag ist hart und anspruchsvoll. Dass gleich zwei ihrer Patienten kurz nacheinander sterben, erst eine Mutter dreier Kinder, dann auch ein Mädchen, das im selben Alter ist wie die eigene Tochter, setzt der Ärztin zu, lässt sie zweifeln an sich. Eine Doppelbelastung, die sie physisch anstrengt und psychisch belastet.

Er spielt einen Diener zweier Herren, sie zerreißt es zwischen Berufs- und Familienleben Ihr Mann probt derweil ein neues Stück, sinnigerweise Carlo Goldonis „Diener zweier Herren“, wo der Schauspieler in der Hauptrolle als Truffaldino wahrlich akrobatische Leistungen vollbringen muss. Ein Buffo-Element des Films, und doch mehr. Denn so wie Günter sich auf der Bühne zwischen seinen zwei Jobs fast zerreißt, so ergeht es seiner Frau zwischen Berufs- und Familienleben. Denn auch wenn sie eine moderne Ehe führen: Wenn es um den Haushalt oder das Kind geht, dann herrscht doch noch wie selbstverständlich das altmodische Bild vor, dass die Frau sich zu kümmern hat. Und die sorgt sich obendrein, ob sie ihr Mann bei all der Alltagsroutine überhaupt noch begehrt, wo er doch ganz offen mit der Frau ihres Arztkollegen flirtet.

Szenen einer Ehe, aber nicht als Eheschlacht à la Ingmar Bergman. Sondern als allgemeingültige Geschichte, die auch bei ganz anderen Berufsgruppen so oder so ähnlich ablaufen könnte. Frank Vogel hat deshalb auch jedes Klischee umgangen, zeigt keine genialen Chirurgen hier oder ausschweifendes Bohème-Leben da. Beides, Chirurgie wie Schauspiel, werden vorgeführt als harte, körperlich anstrengende Berufe. Eine genaue, nüchterne, reportagehafte Darstellung mit unaufdringlichen, authentischen Bildern, ganz nah an der Dokumentation, von Berlins Straßen und seinen Menschen.

Vogel setzt dabei auf Gleichklang und Alltagsrhythmus, wenn er den Film in die sieben Tage bis zum Hochzeitstag einteilt, mit den immergleichen täglichen Verrichtungen und Arbeitsprozessen. Und Roland Gräf, selbst ein erfolgreicher Filmregisseur („Die Flucht“, “Fallada – Letztes Kapitel“), der hier die Kamera führte, unterstreicht dieses dramatische Prinzip, indem er die immergleichen Bilder doch variiert und aus verschiedenen Blickwinkeln aufnimmt. Diese Bilder sagen mehr als alle Dialoge.

Authentische Einblicke – in die Charité und ins Deutsche Theater Deshalb fallen hier auch keine großen Worte, selbst dann nicht, wenn sie nötig wären. Immer wieder werden Menschen bei der Arbeit gezeigt, werden selbst Dialogszenen mit lakonischer Jazzmusik überlagert. Die Eheleute, sie leben nebeneinander her und ein bisschen aneinander vorbei. Und die Angst davor zeigt sich in bangen Blicken der Frau. Und den abschweifenden ihres Mannes. Frank Vogel hat damals betont, der Film sei eine „Liebeserklärung an die Frau“.

Der Star des Films war eigentlich Wolfgang Kieling, der kurz zuvor noch im Hitchcock-Thriller „Der zerrissene Vorhang“ (1966) ausgerechnet einen brutalen Stasi-Killer gespielt hatte, dann aber 1968 zum zweiten Mal in die DDR umsiedelte und hier seine erste Defa-Rolle seither spielte. Kielings Liebe zur DDR sollte allerdings bald wieder erkalten, 1970 zog er zurück in den Westen. Hier spielt er einen Schauspieler im Deutschen Theater, in den Probenszenen sind auch Stars des Hauses wie Eberhard Esche, Otto Mellies und Jürgen Holtz zu sehen. Authentisch auch dieses Berufsfeld.

Der Film ist jedoch ganz aus der Innensicht der Frau gezeigt, und die wird gespielt von Jessy Rameik. Sie war damals noch ein recht unbekanntes Gesicht, was der Authentizität des Films zugute kam, gab aber ein starkes Debüt, mit Zurückhaltung und Unaufdringlichkeit und doch starker Präsenz.

„Zwei unter Millionen“ hieß der August-Beitrag in unserer Filmreihe. So könnte auch dieser Film heißen. Zwei in einer großen Stadt, die ständig wie nebenbei mit eingefangen wird: die Charité, das Deutsche Theater, aber auch der Alltag an den U-Bahnhöfen Alexanderplatz und Schillingstraße, auf der Weidendammer Brücke oder am Strandbad Müggelssee. Ein lakonischer und auch poetischer Film, der eine Stadt zeigt, die man heute kaum wiedererkennt.

„Mit ,Das siebente Jahr‘ ist seit langer Zeit wieder ein Defa-Gegenwartsfilm in den Kinos, dessen bewusste künstlerische Gestaltung unseres Alltags auffällt“, schwärmte damals Günter Sobe, nach der Uraufführung des Films im Kino International im Februar 1969, in der „Berliner Zeitung“.

„Ein Film, der von der Poesie dieses Alltags etwas zum Schwingen bringen will.“ Er sei „mit Abstand die filmkünstlerisch reifste Äußerung des Regisseurs Frank Vogel und ein auch in internationalem Maße bemerkenswerter Film.“ Ein Werk, das nicht gealtert ist und nun noch einmal, restauriert auf großer Leinwand, zu entdecken ist. Zoo Palast, 3. Dezember, 20 Uhr in Anwesenheit von Mirko Wiermann von der Defa-Stiftung. Tickets erhalten Sie hier.