Habeck bricht mit grünem Klima-Tabu an drei Orten
Lässt sich lästiges CO2 einfach unter der Erde verstauen? Jahrelang waren vor allem die Grünen gegen die Anwendung des sogenannten „Carbon Capture“ in Deutschland. Ein neue Strategie aus dem Haus von Grünen-Minister Habeck ändert das jetzt – und skizziert sogar schon drei Projekte.
Insgesamt 49 Seiten lang ist das Dokument, mit dem Deutschland ein altes energiepolitisches Tabu brechen will. In der letzten Woche hat das Bundeswirtschaftsministerium von Minister Robert Habeck (Grüne) die sogenannte Carbon-Management-Strategie an die anderen Ministerien der Ampel-Regierung zur sogenannten Ressortabstimmung geschickt. Die Zeit drängt: Noch zu Beginn des Jahres war man davon ausgegangen, dass die Strategie schon im Frühjahr in ein Gesetz gegossen werden könnte, heißt es aus Kreisen des Ministeriums.
Dazu ist es ziemlich offensichtlich nicht gekommen. Doch das Thema ist komplex – denn das Papier aus dem Wirtschaftsministerium soll eine Praxis, die in Deutschland bis dato verboten ist, zur neuen Waffe im Kampf gegen den Klimawandel erheben. Gemeint ist das sogenannte „Carbon Capture and Storage“ (CCS) bzw. „Direct Air Capture“ (DAC). Dabei wird das CO2, das zum Beispiel eine Fabrik ausstößt, mit technischen Hilfsmitteln eingesaugt und unterirdisch gelagert, etwa unter dem Meeresboden der Nordsee. Das Versprechen: Die Fabrik kann weitermachen wie bisher und das klimaschädliche CO2 gelangt dennoch nicht in die Atmosphäre.
Die Angst vor dem Erdbeben
Bereits im Frühjahr legte das Wirtschaftsministerium grobe Eckpunkte seiner Strategie vor, wie mit Carbon Capture umzugehen sei. In der Abschlussfassung der Strategie, die FOCUS online Earth vorliegt, wird es jedoch erstmals konkret. Die Bundesregierung strebe an, dass „in Deutschland bereits vor 2030 jeweils mindestens ein großskaliges CO2-Abscheideprojekt in der Zement- und Kalkindustrie sowie an einer Müllverbrennungsanlage in Betrieb genommen wird“, heißt es darin. Maximal fünf Jahre für drei gewaltige Projekte, die nach derzeitigem Stand noch nicht einmal legal sind – das ist ein ambitionierter Zeitplan.
Dass es diesen Zeitplan überhaupt gibt, galt jedoch lange als unmöglich. Jahrelang liefen Umweltorganisationen und Bürgerverbände Sturm gegen jeden Versuch, die Technik auch nur zu erproben. Zu groß waren die Ängste vor Erdbeben, Leckagen oder einer Verschmutzung des Grundwassers. Die Grünen, traditionell den Umweltverbänden nahestehend, trugen diese Haltung in die Parlamente. Auch Habeck war in seiner Zeit als Umweltminister von Schleswig-Holstein nur wenig erpicht darauf, die Nordsee vor der eigenen Haustür für Experimente mit der CO2-Speicherung freizugeben.
„Besser im Boden“
Doch in den letzten Jahren war bei den Grünen ein Umdenken zu beobachten. „Wir bekennen uns zur Notwendigkeit auch von technischen Negativemissionen“, hieß es noch vorsichtig im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, das Reizwort „Carbon Capture“ wurde bewusst ausgespart. Seitdem hat sich die Rhetorik der Grünen-Größen sichtbar an den Gedanken gewöhnt, CO2 aus der Erde zu saugen.
„Kohlendioxid im Boden ist allemal besser als in der Atmosphäre“, sagte Habeck etwa im Januar bei einem Besuch in Norwegen, einer der weltweiten Vorreiter bei der CCS-Technologie. Und auch Partei und Fraktion würden einem Tabubruch unter gewissen Bedingungen nicht mehr im Weg stehen. Ein Parteitagsbeschluss vom vergangenen November lässt CCS in Industriefeldern zu, „wo technisch nicht vermeidbare Emissionen entstehen.“
„CCS darf allenfalls als Technologie für jene fünf Prozent unserer Restemissionen infrage kommen, die sich durch auch noch so ehrgeizige Reduktionsstrategien nicht vermeiden lassen“, schrieb Lisa Badum, Grünen-Obfrau im Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie, im September letzten Jahres in einem Meinungsbeitrag für das Fachmedium „Tagesspiegel Background“. Ein kategorisches Nein klingt anders.