Ursache von Feinstaub: Kachelmann-Theorie vs. Expertenmeinung
Seit Tagen sorgt in Deutschland eine besonders hohe Feinstaubbelastung für Besorgnis. Das Umweltbundesamt (UBA) stuft die Luftqualität als „sehr schlecht“ ein. Viele Messstationen bundesweit springen aufgrund der Feinstaubwolke auf Rot. Das UBA rät vor allem Menschen mit Vorerkrankungen, in bestimmten Regionen mit hoher Belastung, draußen nicht anstrengenden Sport zu treiben. Grund dafür, dass sich die Schadstoffe gerade besonders stark in der Luft anreichern, ist laut UBA die winterliche Hochdruckwetterlage, es ist nahezu windstill und trocken. Doch was genau trägt am meisten zur gefährlichen Schadstoffbelastung über Deutschland bei? Und sehen wir vor allem ein „hausgemachtes“ Problem oder tragen tatsächlich Winde aus Osteuropa verstärkt Schadstoffe nach Deutschland? Darüber entbrennt gerade eine hitzige Debatte, an der auch Wetter-Experte Jörg Kachelmann beteiligt ist. Worum geht es und wie ordnet das ein Feinstaub-Experte die Lage ein?
Feinstaub über Deutschland: Kachelmann schießt gegen Holzöfen
„Nächste Giftluft-Wolke aus Polen im Anflug“ titelte die „Bild“-Zeitung am Donnerstag (13. Februar), verbunden mit dem Aufruf: „Schaltet die Dreckschleudern endlich ab!“ Der Artikel vermittelt mehr oder weniger klar die Botschaft, dass die Ursache für die andauernde Schadstoffbelastung über Deutschland zu einem großen Teil auch im europäischen Nachbarland zu finden sei. „Niederschläge schaffen es derzeit kaum, den Feinstaub aus der Luft zu waschen. In den nächsten Tagen erreichen uns weitere Schadstoff-Schwaden aus den 14 Kohle-Kraftwerken und Tausenden privaten Kohle-Heizungen“, schreibt „Bild“.
Das Blatt lässt unter anderem Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zu Wort kommen, die Polen auffordert, die geltenden EU-Luftqualitätsgrenzwerte konsequenter einzuhalten. Weitere Umweltpolitiker fordern, Polen solle seine Kohle-Kraftwerke schnellstens stilllegen. Völlig anders sieht das dagegen der Wetterexperte Jörg Kachelmann. Auf der Plattform X verlinkt Kachelmann den besagten Beitrag und schreibt dazu „.@bild lügt.“ Und weiter: „Es sind die 15 Millionen Holz- und Pelletöfen in Deutschland. Es ist ein hausgemachtes Problem. Dieser verdammte ‚Ostwind‘.“
Lesen Sie auch: Waldbrände in Los Angeles – Kachelmann widerspricht Luisa Neubauer
Auf den Kommentar eines X-Nutzers, wonach Kachelmann alle anderen bodennahen feinstaubemittierenden Quellen wie Verbrennungsmotoren, Kohlekraftwerke oder Industrieanlagen unterschlage, antwortet der Schweizer Wetterexperte: „Spielen im Vergleich zu Holz- und Pelletöfen keine Rolle, deswegen gibt es im Sommer kaum bis keine Feinstaub-Grenzwertüberschreitungen, sobald die Holz- und Pelletöfen weg sind.“ Fakt ist: In Deutschland gibt es nach Branchenangaben knapp 700.000 Pelletheizungen. Das Umweltbundesamt erfasst in Deutschland etwa 11,2 Millionen sogenannte Einzelraumfeuerungsanlagen, dazu zählen vor allem private Kamin- oder Kachelöfen. Im Jahr 2019 waren es demnach noch 11,7 Millionen Geräte. Aber stimmt es, dass die gewaltige Feinstaub-Lage über Deutschland „hausgemacht“ ist?
Feinstaub: Woher stammt die Wolke über Deutschland? Experte klärt auf
„Für die aktuelle Situation ist eine exakte Abschätzung gar nicht so einfach, welche Quellen besonders viel beitragen“, sagt Andreas Held, Fachgebietsleiter für Umweltchemie und Luftreinhaltung der TU Berlin, Gespräch mit dieser Redaktion. Dafür müssten Wissenschaftler vorerst auf Modellrechnungen sowie auf Vergleiche mit ähnlichen Situationen aus der Vergangenheit zurückgreifen. Wirklich belastbare Aussagen über die Zusammensetzung der Feinstaubbelastung ließen sich erst in einigen Monaten treffen, mithilfe von aufwendigen Messungen und Beobachtungen der jetzigen Lage, erklärt der Feinstaubforscher.
Einige halten die Verwendung von Holz zum Heizen für klimaneutral. Doch ein Fünftel der Feinstaubemissionen stammen aus Holzheizungen. Aus Daten der Vergangenheit wissen die Forscher grob, welche Verursacher am meisten zum Feinstaubproblem beitragen. Das sind in erster Linie: Industrie, Verkehr (u.a. Reifenabrieb) und Kleinverbraucher, also private Haushalte. Bei den kleineren Feinstaubpartikeln, genannt PM (2,5), entfalle auf die drei Verursacher in Deutschland jeweils etwa ein Viertel (ca. 25 Prozent). Das übrige Viertel speist sich aus anderen Quellen wie der Landwirtschaft oder Energieerzeugung. Bei den größeren Partikeln, genannt PM (10) sind es dieselben Hauptverursacher, nur in leicht anderer Aufteilung, erklärt Held. „Es ist aber klar zu sehen, dass wir derzeit besonders viele der sehr feinen Feinstaubpartikel in der Luft haben. Ein Hinweis, dass auch Verbrennung gerade eine ganz wichtige Rolle spielt.“
Wie sich die Feinstaubwolken genau zusammensetzen, sagt Held, lässt sich nicht für alle Städte und Regionen in Deutschland verallgemeinern. Wetter, geografische Lage und Nachbarregionen spielten eine wichtige Rolle. Für Berlin haben die Forscher ermittelt, dass grob zwei Drittel der Feinstaubbelastung in der Hauptstadt nicht auf lokale Quellen wie Verkehr, Industrie oder Haushalte zurückzuführen ist, sondern aus „überregionalen“ Quellen stammen, „auch von außerhalb Deutschlands, wie Polen oder anderen osteuropäischen Ländern“, sagt Held. Bei Ostwind könne der Anteil sogar bis zu 70 Prozent betragen. Auch in Städten wie Leipzig oder Dresden sei aktuell davon auszugehen, dass ein relativ großer Anteil des Feinstaubs von außerhalb eingetragen werde. Weht der Wind von Westen her, würde typischerweise mehr aus Frankreich und den Beneluxländern übertragen. Anders als in den Sommermonaten würde sich die schadstoffreiche, kalte Luft aber aktuell kaum verdünnen oder weiterziehen.
Forscher: Feinstaub aus Holzverbrennung geringer aber schädlicher für Gesundheit
Dieser Tage nur mit dem Finger auf die Nachbarländer zu zeigen, findet der Feinstaubforscher allerdings unangebracht. „Was die Emission aus Industrie und Energieerzeugung in Europa angeht, ist der Standard in der Abgasreinigung auch in Osteuropa vergleichbar“, so Held. Weniger streng reguliert seien jedoch kleinere Haushalte, die in einigen Regionen vielfach noch einen Holzofen betrieben. „Dadurch könnte sich im Winter durchaus der Beitrag der Schadstoffe erhöhen“, sagt Held. „Es geht aber nicht darum, hier einen ‚Schuldigen‘ zu finden, das Wetter ist, wie es ist.“ Grobe Feinstaubpartikel aus Holzöfen und -kaminen in Deutschland würden Studien zufolge rund 10 bis 15 Prozent übers Jahr gerechnet ausmachen, im Winter bis zu 20 Prozent, sagt Held. Das lässt Kachelmanns Aussage dann doch recht überzogen aussehen. Zugleich weist Held darauf hin, dass Partikel aus der Holzverbrennung gesundheitsschädlicher sein können als Feinstaub aus anderen Quellen.
Wo müsste man zuerst ansetzen, wenn man so gefährliche Feinstaub-Lagen wie derzeit in Zukunft verhindern will? „Eine Situation wie jetzt werden wir bei einer Wetterlage wie aktuell nie komplett ausschließen können“, sagt Held. Bei Maßnahmen im Straßenverkehr sei ebenso noch Luft nach oben wie in Industrie und Energieerzeugung. Besonders schwierig sei die Regulierung bei den Millionen Privathaushalten, sagt Held. „Da braucht es lokal abgestimmt unterschiedliche Maßnahmen.“