Handball | Füchse-Maskottchen
„Ab heute bin ich nur noch Fuchsi“
Nach einem langen Arbeitstag im Büro verwandelt sich Martin in „Fuchsi“, das Maskottchen der Berliner Füchse. Für diese Verwandlung muss er sich wie ein Profisportler vorbereiten – nicht nur wegen der Hitze unter dem Kostüm. Und Martin träumt von mehr. Von Aljoscha Huber
Ein Fuchs schleicht durch die Katakomben der Max-Schmeling-Halle. Er dreht sich um und zischt: „Wenn du mich etwas fragen möchtest, schau zuerst, ob ein Kind in der Nähe ist – und sag niemals meinen echten Namen. Ab heute bin ich nur noch Fuchsi!“ Er wirkt wie verwandelt. Als er die Halle kurz zuvor als normaler Mensch betrat, war er noch zurückhaltend, fast schüchtern. Jetzt ist er aufgedreht, springt mehr als er geht und drängt den eher träge herumstehenden Mitarbeitern der Füchse Berlin fast seinen Händedruck auf. Der Fuchs ist Martin, ein 46-jähriger Mann, der für sein Hobby als Handball-Maskottchen gerade in ein Kostüm geschlüpft ist. Seinen Nachnamen verrät er nicht: Maskottchen-Ehrenkodex. Niemand darf wissen, wer sich unter dem rothaarigen Kunstfell verbirgt.
Teilzeittier
Ein paar Stunden zuvor steht Martin an seinem Schreibtisch in seiner Wohnung in Rudow und schließt seinen Laptop. Hier lebt er mit seiner Frau und zwei Katzen. Martin hat einen Bürojob bei der BVG – aber Hinweise auf sein Doppelleben sind schnell zu finden. Im Wohnzimmer stehen Fotos von ihm als Fuchsi wie Trophäen in einer Vitrine. Eines davon zeigt ihn im Kostüm mit der Mannschaft der Füchse Berlin, als sie im August zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte den Supercup gewannen. Alles begann vor 15 Jahren mit einem Gefallen. Ein Freund bat Martin, als Maskottchen für ihn einzuspringen. „Handball hat mich damals überhaupt nicht interessiert. Ich kannte nicht einmal die Regeln“, sagt Martin. Aber der Gefallen stellte sich für ihn als Glücksfall heraus. Die Lichter der Halle, die Trommeln im Fanblock, die Aufmerksamkeit: Sein erster Auftritt machte ihm sofort Spaß. Irgendwann wurde die Position frei. „Heute bin ich die Nummer 1“, sagt er im Garten der Wohnung, mit einer der Katzen auf dem Arm.
Schwiegermutter Karola assistiert
Fuchsi ist ein Familienunternehmen. Wenn er einmal nicht kann, vertritt ihn sein Schwager, erzählt Martin. Seine Schwiegermutter Karola ist eine Art Betreuerin: Sie wäscht und pflegt das Kostüm, begleitet ihn zu den Spielen. „Ich sehe Martin öfter als meine Tochter“, sagt Karola. Die beiden steigen in einen grauen Kombi, Plüschfüchse stehen auf der Kofferraumabdeckung. Durch den Berliner Feierabendverkehr geht es Richtung „Fuchsbau“, wie die Fans die Max-Schmeling-Halle an Spieltagen nennen. Das Team spielt an diesem Abend gegen den ungarischen Rekordmeister Veszprem KC. Es ist das Champions-League-Comeback nach elf Jahren Abwesenheit. Es ist Zeit zu glänzen.
Die Verwandlung
Martin umarmt seine Schwiegermutter einmal, bevor er den Fuchskopf aufsetzt und einmal in voller Montur. Das gemeinsame Ritual vor jedem Auftritt. Martin erblickt im Spiegel der kleinen Umkleidekabine faustgroße Fuchsaugen. Er klatscht zweimal in die Hände und verlässt die Kabine. Fuchsi umarmt die strömenden Fans am Haupteingang. Zwei Jungs springen links und rechts um ihn herum, während ihre Mutter versucht, sie für das Handyfoto zu positionieren. Auch ältere Menschen blenden aus, dass unter dem Fell ein erwachsener Mensch steckt, und umarmen ihn wie einen alten Freund. Eine Frau macht mit einem Bier in der Hand ihr „tausendstes Foto“ mit ihm. Sie will sich sein Autogramm in die Haut stechen lassen, erzählt sie und zeigt stolz ihr Tattoo am Bein. Es zeigt das Wappen der Füchse.
Das Kostüm fühlt sich nach etwa einer halben Stunde von außen bereits schweißnass an. Fuchsi springt herum, tanzt zu Flo Ridas Großraumdisco-Song „Whistle“. Mit etwas Fantasie kann man immer noch Martins wippenden Gang erkennen, mit dem er vor einer Stunde auf dem Parkplatz gelaufen ist. Trotzdem würde man die Person unter dem Kostüm aufgrund ihrer Bewegungen locker zehn Jahre jünger schätzen.
Held ohne Gesicht
Dass nur wenige wissen, wer sich unter dem Kostüm verbirgt, ist schon immer Teil des Maskottchen-Mythos gewesen. Und das funktioniert. „Ich bin mir sicher, dass es mehrere gibt“, sagt ein Fan zu seinem Begleiter, als er das Riesentier erblickt. Ein anderer wirft ein, Fuchsi müsse eine Frau sein, weil er so gut tanzen könne. Als Martin würde der verkleidete Mann niemals vor 7.000 Menschen auftreten, „null Bock“, sagt er. Es ist eine bescheidene Form des Ruhms: „Ein bisschen Fame als Fuchsi ist schön. Als Martin brauche ich das nicht.“ Im Hallentunnel dehnt der Handball-Nationalspieler Paul Drux jetzt seine Beine. Nur wenige Meter entfernt macht ein Typ im Tierkostüm genauso konzentrierte Dehnübungen. Wenn Martin Sport im Fernsehen guckt, achtet er immer darauf, was die Konkurrenz tut. Was kann er sich abschauen? Der Hallensprecher kündigt ihn jetzt brüllend an: „das beste Maskottchen der Welt!“
Den Rücken zum Spielfeld
Fuchsi rennt zu Techno-Beats und dem Jubel der Zuschauer durch den Spielertunnel, Flammenwerfer säumen seinen Weg. Er bewegt seinen Körper auf dem Hallenboden wie eine Welle, ein Breakdance-Move, für den er bekannt ist. Während des Spiels feuert er an, tanzt in den Pausen mit den Cheerleaderinnen, klettert an der Tribünenreling entlang. Zweimal gönnt er sich eine kurze Pause in einem abgeschirmten Bereich. Er trinkt in großen Schlucken aus einer Wasserflasche. Vom Spiel bekommt er meist nur die letzten fünf Minuten richtig mit. Den Verlauf liest er in den Gesichtern der Fans. Heute spricht aus ihnen Enttäuschung. Die Füchse verlieren, es ist ein knappes Spiel. Fuchsi klatscht die Handballer ab, tröstet Zuschauer. Noch bis in die Kabine bleibt er seiner Rolle treu, reibt sich in den Katakomben die Fuchsaugen, als wären sie voller Tränen.
Zu schwergeschwitzt für die Waschmaschine
Als er den Kopf abnimmt, schnauft er einmal durch – und ist sofort wieder der Martin vom Nachmittag. Das triefende Kostüm ist schwer vom Schweiß; in der Kabine riecht es, als hätten sich eine ganze Handballmannschaft umgezogen. „Stinkt bestialisch“, sagt Schwiegermutter Karola. Sie stopft das Kunstfell in eine Plastiktüte und zieht sie fest zu. Meistens muss es erst geschleudert werden, weil es sonst zu nass für die Waschmaschine ist. Jetzt ist Martin noch voller Adrenalin, aber in ein paar Stunden kommen für gewöhnlich die Schmerzen und Krämpfe, erzählt er. Knapp unter hundert Euro bekommt er für einen Einsatz von vier Stunden als Fuchsi. Und morgen früh klappt er im Büro wieder seinen Laptop auf.
„Ich hole nach, was in der Jugend vielleicht nicht geklappt hat“
Martin wollte immer Leistungssportler werden, wurde aber nicht gefördert, hat er am Nachmittag in seinem Garten erzählt. Vor kurzem sah er die Doku über die Turnerin Simone Biles, die auf dem Weg zur Olympiasiegerin riesige Widerstände überwand. Der Film hat ihn zu Tränen gerührt. Martin wirkt wie jemand, der sein Glück gar nicht fassen kann, unverhofft sein Ding gefunden zu haben. Er liebt diese Shows so sehr, dass er ab und zu auch für einen anderen Berliner Sportverein in ein Tierkostüm schlüpft. In welches, verrät er nicht. „Ich hole nach, was in der Jugend vielleicht nicht geklappt hat“, sagt Martin. Und dann so leise, als wäre es ihm fast unangenehm: „Eines Tages in Amerika als Maskottchen aufzutreten. Das wäre das Größte.“ Dort sind die kostümierten Tiermenschen Superstars, manche verdienen Hunderttausende Dollar pro Saison. Sie dürfen an Bungeeseilen in Stadien springen, auf Quad-Bikes durch Funkenregen fahren oder meterhoch auf Trampolinen hüpfen. Ein Moment vergeht. Dann sagt Martin: „Das hier würde ich aber nie aufgeben. Der Fuchs ist in meinem Herz.“