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Freudig lächelnd gehen Olaf Scholz und seine Frau Britta Ernst auf Brasiliens Präsident Lula da Silva zu. Der Gastgeber des G20-Gipfels in Rio de Janeiro klopft dem Bundeskanzler freundschaftlich auf den Rücken, Ernst schüttelt Lula höflich die Hand. Die Sonne strahlt über der Küstenmetropole, das Kanzlerpaar hat in einem Hotel direkt an der Copacabana übernachtet. Scholz macht einen gut gelaunten Eindruck. Wer den Kanzler auf dieser Reise aus der Nähe erlebt, trifft auf einen aufgeräumten und selbstbewussten Mann. Während Scholz am Zuckerhut weilt, ist zu Hause die Debatte um seine Kanzlerkandidatur in vollem Gange. „Die SPD und ich, wir sind bereit, in diese Auseinandersetzung zu ziehen“, sagte Scholz noch kurz vor seinem Abflug in Berlin nach Rio de Janeiro. „Übrigens mit dem Ziel, zu gewinnen.“ Der Kanzler nimmt für sich in Anspruch, sich nicht so leicht beeindrucken zu lassen. Das dürfte auch für die Zweifler in den eigenen Reihen gelten. Aber müsste er seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur nicht klarer machen, um die Debatte zu beenden?

Aus Sicht des Kanzlers gibt es keinen Grund zur Sorge. Die Spitzen von Partei- und Fraktion stehen schließlich hinter ihm, auch aus der Riege der SPD-Kabinettsmitglieder und Ministerpräsidenten kommt kein Widerspruch gegen seine Kanzlerkandidatur. Und während Herausforderer Friedrich Merz (CDU) am Wochenende in seinem E-Mail-Rundbrief über Außenpolitik nachdachte, ist Scholz in der Weltpolitik mittendrin. Innerhalb einer Woche telefonierte Scholz mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump, dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj und Russlands Machthaber Wladimir Putin. Beim G20-Gipfel trifft Scholz weitere bedeutende Staats- und Regierungschefs. Ein persönliches Gespräch ist am Rande des Gipfeltreffens auch mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping geplant.

Koalitionsbruch und Neuwahlen zum Trotz: Nicht nur für den Herrscher der asiatischen Supermacht ist Scholz weiterhin ein wichtiger Ansprechpartner. Das passt genau in die Erzählung der SPD-Strategen für den Wahlkampf, wonach Scholz ein welterfahrener Regierungsmann ist, der Deutschland sicher durch diese stürmische Zeit lotst. Im Gegensatz zu Merz, der bisher vor allem Rede geschwungen habe – so die Argumentation der SPD. Allerdings hat dieser Plan einen Haken: Zumindest bisher geht er nicht auf. In Umfragen liegt die SPD nicht nur hinter der Union und der AfD auf dem dritten Platz, Scholz‘ Beliebtheitswerte sind auch deutlich schlechter als die von CDU-Chef Merz. Vor früheren Wahlkämpfen galt immer, dass ein Amtsinhaber mit einem Bonus in die Auseinandersetzung zieht, den die Herausforderer erst einmal aufholen müssen. Scholz startet jedoch beschwert mit einer Bleiweste.

Ein Tiefschlag für Scholz ist, dass sich während seiner Abwesenheit der mächtige NRW-Landesverband von ihm distanzierte: Es gebe eine Debatte in den Wahlkreisen, teilten die Vorsitzenden der NRW-Landesgruppe im Bundestag, die Parteilinke Wiebke Esdar und der zum pragmatischen Flügel zählende SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, dem WDR mit. „Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius.“ Damit ziehen namhafte Vertreter der linken und der konservativen SPD-Strömung eine Kanzlerkandidatur von Scholz infrage.

Immer mehr SPD-Politiker wünschen sich öffentlich, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius Kanzlerkandidat werden solle. Zunächst meldeten sich nur Sozialdemokraten der vierten oder fünften Reihe zu Wort. Doch inzwischen geben auch Bundestagsabgeordnete zu Protokoll, dass sie Scholz nicht mehr für den Richtigen halten.

Während der Kanzler in Brasilien ist, sind die Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil damit beschäftigt, ihm den Rücken zu stärken. „Er ist unser Kanzler und unser Kanzlerkandidat“, sagte Esken am Montag. Das sei „beschlossene Sache“. Die Zustimmung müssen allerdings die Gremien der SPD geben, Einigkeit in der Parteispitze reicht nicht. „Es gibt keine Selbstkrönung“, mahnte Juso-Chef Philipp Türmer.

Bis zu dem Parteitag am 11. Januar wird die SPD angesichts der Debatte um Scholz und Pistorius nicht warten, um Klarheit zu schaffen. In der Parteizentrale wird nun auf die geplante „Wahlsiegkonferenz“ Ende November in Berlin verwiesen, dort könnte Scholz in angemessenem Rahmen nominiert werden. Dann ist der Kanzler ganz sicher wieder zurück. Seine Südamerika-Reise hat Scholz verkürzt, ein Abstecher nach Mexiko fällt aus. Aufgrund der aktuellen Situation wolle Scholz frühzeitig wieder in Berlin sein, heißt es aus dem Umfeld des Kanzlers. „Es ist ja einiges los hier.“