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Livingston. Robert Roberson soll für den Tod seiner kleinen Tochter sterben. Doch erlag sie wirklich einem Schütteltrauma? Sogar der Chefermittler zweifelt.

Weniger als 90 Minuten vor seinem geplanten Tod darf Robert Roberson wieder hoffen. So knapp, bevor das Leben eines Mannes enden sollte, dessen Schuld am Tod seiner kleinen Tochter höchst umstritten ist, wurde die Hinrichtung des US-Amerikaners am Donnerstag (Ortszeit) aufgeschoben. Wie die „Washington Post“ berichtet, hat ein Bezirksrichter im Bundesstaat Texas am Abend eine einstweilige Verfügung erlassen und die Exekution von Robert Leslie Roberson III, wie der 57-Jährige mit vollem Namen heißt, blockiert. Die dramatische Wende in dem umstrittenen Fall kommt, nachdem eine überparteiliche Koalition von Abgeordneten des Repräsentantenhauses nach einer Anhörung am Mittwoch einstimmig dafür gestimmt hatte, Roberson vorzuladen und dessen Hinrichtung damit zu verzögern. Die texanische Generalstaatsanwaltschaft erklärte umgehend, sie werde gegen die Entscheidung Berufung einlegen.

Roberson wurde 2003 wegen Mordes an seiner chronisch kranken Tochter Nikki zum Tode verurteilt verurteilt, nachdem das zwei Jahre alte Mädchen im Krankenhaus gestorben war – angeblich wegen eines durch ihn verursachten Schütteltraumas. Sein Fall hat schnell Aktivisten auf den Plan gerufen, die sich gegen die Todesstrafe einsetzen. Doch inzwischen äußern auch Experten, Mediziner und sogar der leitende Ermittler in dem Fall lautstark Zweifel an der Schuld des Mannes.

Robersons Anwälte stellen die vom Krankenhaus festgestellte Todesursache infrage. Sie führen den Tod des kleinen Mädchens stattdessen auf eine schwere und falsch behandelte Lungenentzündung zurück. Schon lange habe das Kind an einer Reihe von Beschwerden wie Ohrentzündungen und ungeklärten Atemaussetzern gelitten. In zwei Jahren sei der alleinerziehende Vater mit seiner Tochter mehr als 45 Mal beim Arzt gewesen.

Den Gerichtsakten zufolge hatte sie in den Tagen vor ihrem Tod Erbrechen, Husten und Fieber. Am Morgen des 31. Januar 2002 hörte Roberson seine Tochter weinen, nachdem sie offenbar aus dem Bett gefallen war. Er habe sie getröstet und sei dann wieder eingeschlafen, schildern seiner Verteidiger. Später am Morgen fand er das Mädchen reaktionslos vor und brachte sie in die Notaufnahme. Dort erkannten die behandelnden Ärzte bei dem Mädchen drei spezifische Symptome: eine Schwellung des Gehirns, Blutungen an der Gehirnoberfläche und Blutungen in der Augennetzhaut. Sofern es keine Zeugen für die Misshandlung eines Kindes gibt, galt diese „diagnostische Trias“ als Beweis für das sogenannte „Shaken-Baby-Syndrom“. Heutzutage hält man diese Befunde aber nicht mehr für ausreichend, um zweifelsfrei ein Schütteltrauma festzustellen. Robersons Anwälte argumentieren, die Verletzungen der kleinen Nikki seien die Folge ihres nächtlichen Sturzes gewesen.

Roberson zeigte im Krankenhaus trotz des alarmierenden Zustands seiner Tochter kaum Emotionen, was das Krankenhaus-Personal und der seinerzeit leitende Ermittler Brian Wharton als Beweis für seine Schuld interpretierten. Sie wussten nicht, dass bei Roberson 2018 offiziell Autismus diagnostiziert worden war, und deuteten seine Reaktion als mangelnde Betroffenheit. Dass er den Gesundheitszustand seiner Tochter nicht erklären konnte, machte sie ebenfalls misstrauisch: Er musste wohl lügen. Roberson selbst beteuert seit Langem seine Unschuld.

Wharton sagte 2003 beim Prozess in dem Fall gegen Roberson aus. Doch in den darauffolgenden Jahren räumte der leitende Ermittler ein, dass man die Diagnose Schütteltrauma zu schnell als Erklärung für den Tod des Mädchens akzeptiert hatte. Inzwischen ist Wharton von Robersons Unschuld überzeugt und zu einem seiner entschiedendsten Verteidiger geworden. Unklar ist, ob das Eingreifen des Texanischen Bezirksrichters die Hinrichtung Robersons nicht nur aufschiebt, sondern auch verhindern kann. Es wäre das erste Mal, dass ein Todesurteil im Zusammenhang mit dem Schütteltrauma bei einem Kleinkind vollzogen würde.

Das UN-Menschenrechtsbüro zeigte sich angesichts zweier anstehender Hinrichtungen in Texas und Alabama „zutiefst besorgt“, erklärte Sprecher Seif Magango. Im vergangenen Monat seien binnen zwölf Tagen sechs Menschen in fünf verschiedenen Bundesstaaten hingerichtet worden, fügte er hinzu. „Dieser Anstieg der Hinrichtungsrate ist äußerst besorgniserregend.“

Am Donnerstag sollte neben Robert Roberson in Texas auch Derrick Ryan Dearman in Alabama exekutiert werden, der 2016 wegen der Ermordung mehrere Menschen mit einer Axt verurteilt worden war. Bisher wurde in diesem Jahr in den USA 19 Mal die Todesstrafe vollstreckt. In 23 der 50 US-Bundesstaaten wurde die Todesstrafe bis heute abgeschafft. In sechs weiteren Bundesstaaten sind Moratorien in Kraft.