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Berlin Marathon: Laufen mit künstlichen Gelenken

82-jährige Lauf-Veteranen

Mit künstlichen Gelenken zum Berliner Marathon-Jubiläum

1974 gewann der Postbote Günter Hallas den ersten Berlin-Marathon. Zum 50. Jubiläum wird der 82-Jährige dort ein letztes Mal an den Start gehen – mit einem künstlichen Knie und im Duo mit einem zweiten Jubilar. Von Jakob Lobach

Wirklich entschlüsselt hat Günter Hallas das Geheimnis seines ersten Marathon-Sieges auch nach 50 Jahren nicht. „Ich weiß auch nicht, wie das kam … Auf einmal war ich vorne“, sagt der 82-Jährige, angesprochen auf den 13. Oktober 1974. Und Hallas blieb vorne. „Einen Kilometer vor dem Ziel hing ich am Streckenrand im Zaun“, erinnert er sich zwar, „aber ein Freund hat mich angespornt.“ Nach 2:44 Stunden kam der Berliner am Mommsenstadion ins Ziel. Zwei Minuten Vorsprung machten ihn zum Gewinner des ersten Berlin-Marathons überhaupt.

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50 Jahre später steht nun das 50. Jubiläum der 42,195 Kilometer langen Laufrunde durch Berlin an. Seitdem Günter Hallas einst die erste dieser Art als Sieger absolvierte, hat sich vieles getan: Aus 280 Teilnehmern sind weit über 40.000 geworden. Die Gewinner sind inzwischen Vollprofis aus Kenia und Äthiopien, statt Berliner Amateure mit Laufleidenschaft. Und die Strecke führt schon lange nicht mehr in zwei Runden vom Mommsenstadion, durch den Grunewald zum Wannsee und zurück, sondern mitten durch die Stadt. Günter Hallas aber ist immer noch dabei. Ein letztes Mal wird er am 29. September in Laufklamotten bereitstehen, wenn auf der Straße des 17. Juni der Startschuss fällt. Inmitten von zehntausenden Läufern an der Seite von Peter Bartel, einem weiteren „Finisher“ des damals sogenannten Volksmarathons von 1974.

Erinnerungen an 12 Mark Startgebühr

Es ist ein ambitionierter Plan, den das Duo der jeweils 82-jährigen Berliner geschmiedet hat. Nochmal verfestigt hat er sich jüngst bei einem Treffen in größerer Laufgesellschaft. Gut zwei Dutzend Teilnehmer der Premierenversion des Berlin-Marathons folgten vor anderthalb Wochen der Einladung von Bartel zum gemeinsamen Pizzaessen. Sie alle zahlten vor 50 Jahren die damals zwölf Mark Startgebühr für ihren zumeist ersten Volkslauf über die Marathondistanz und erinnern sich auch heute noch gut an ihn. Jutta van Haase beispielsweise erzählt rückblickend von unbedarfter Unklarheit vor dem Rennen. „Ich hatte ja keine Ahnung“, sagt die heute 84-Jährige, „und bin relativ weit hinten losgelaufen.“ Dort blieb sie allerdings nicht lange. „Nach der ersten Runde hat einer meiner Mitläufer gesagt: Jetzt laufen wir mal langsamer“, erzählt sie, „aber ich bin einfach weitergelaufen – alleine und ohne große Mühe.“ Am Ende kam van Haase, die heute lieber Tennis spielt als Laufen zu gehen, als erste von noch recht wenigen Frauen ins Ziel. Erst beim abendlichen Konzertbesuch bekam sie die Belastung doch noch zu spüren: „Ich konnte die Treppen vom Saal nur noch rückwärts herunterlaufen“, erinnert sie sich lächelnd.

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So ungleich das Feld des ersten Marathons in Sachen Geschlechterverteilung war, so unterschiedlich waren auch die Startvoraussetzungen der Teilnehmer. Der spätere Lehrer Peter Bartel etwa wurde nur notgedrungen zum Läufer: Statt ihn wie gewünscht zum Fußballtraining gehen zu lassen, hätten seine Eltern ihn im Tennisverein „zwangsangemeldet“, erzählt er. Dort allerdings verhinderte akuter Trainermangel bedeutende technische Fortschritte. „Also wollten ein Freund und ich die Gegner über die Kondition schlagen und haben uns dafür zu Volksläufen angemeldet.“ Und der Gewinner von 1974? Der hatte sich zwar bereits vor seiner Marathonpremiere im Laufverein angemeldet, war allerdings allen voran als Postbote beruflich gut zu Fuß: „Damals gab es noch keine Briefkästen“, erinnert sich Günter Hallas, „die Treppen rauf und runter, das war mein Training.“ Gemeinsam hatten viele der Teilnehmer, dass ihr erster Marathon ihre Laufleidenschaft zusätzlich befeuerte. Während Bartel irgendwann gar Distanzen über 100 Kilometer, 24-Stunden-Rennen und sogar mehrtägige Wettkämpfe lief, blieb Hallas dem Marathon treu. Er lief in Städten wie New York und Toronto, auf Hawaii und ganze 42-mal in Berlin.

„Bisschen traben, bisschen gehen, bisschen laufen“

In anderthalb Wochen soll nun Berlin-Marathon Nummer 43 folgen. „Ich dachte mir: Den ersten und den fuffzigsten machst du mit und dann ist Feierabend“, sagt Hallas, „mit 82 Jahren braucht man nicht mehr so lange Strecken rennen.“ Zumal das lange Laufen im Alter von Natur aus etwas schwerer fällt. „Die gibt’s seit drei Jahren gar nicht mehr“, beantwortet Hallas die Frage nach seiner Form.

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Wie auch bei Peter Bartel macht ein künstliches Knie die Sache zumindest nicht leichter. Hinzukommt ein künstliches Hüftgelenk – links, wie Hallas betont. „Aber wunderbar gemacht“, sagt er lachend, „besser als die rechte, die ich vielleicht auch machen lassen muss.“ Folglich ist auch der Plan für den 50. Berlin-Marathon ein anderer als der im Jahr 1974: „Bisschen traben, bisschen gehen, bisschen laufen – immer abwechselnd“, sagt Hallas. Aber reicht das am Ende innerhalb der Maximalzeit von 6:15 Stunden für die große Runde zum Brandenburger Tor? „Ich glaube noch nicht so richtig daran, dass wir die gesamten 42 Kilometer absolvieren werden“, sagt Peter Bartel. Eine Schande wäre das keinesfalls. Auch die besondere Beziehung von ihm und Hallas zum Berlin-Marathon würde es wohl kaum belasten. Die wird schließlich mehr als deutlich, wenn man mit den beiden spricht.

Begeisterung und Gänsehaut

Zwar fremdelt Bartel hörbar ein wenig mit dem Massencharakter und der Verwirtschaftlichung des Rennens, die knapp 50.000 Teilnehmer zwangsläufig mit sich bringen. Gleichzeitig freut er sich spürbar über die Begeisterung der Berliner rund um den Marathon: „Die Leute stehen an der Strecke und warten, bis der Letzte im Ziel angekommen ist. Das finde ich total irre“, sagt er. „Es ist unwahrscheinlich, was daraus geworden ist“, findet auch Hallas. Die Frage nach seinem schönsten Marathon beantwortet der Berliner kurz darauf übrigens, ohne groß nachdenken zu müssen: „Das war nach der Maueröffnung. Als ich durchs Brandenburger Tor gelaufen bin, hatte ich Gänsehaut“, sagt Hallas. Ein Gefühl, das ihn und Bartel am Sonntag in anderthalb Wochen vielleicht schon beim Start inmitten des Tiergartens und tausenden Mitläufern erneut überkommen könnte.

Sendung: DER TAG, 29.08.2024, 18 Uhr

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