Armut und Ungleichheit zu bekämpfen wäre wichtiger als Kinder gegen alles Mögliche zu impfen, argumentiert eine Expertin.
Zehntausende Kinder in Gaza bezahlen mit ihrem Leben für die kriegerischen Ambitionen Erwachsener, die ihre elementaren Pflichten sträflich vernachlässigen. Mehrere Hunderttausend Menschen in Gaza leben unter unvorstellbaren Bedingungen, nur die wenigsten (1 bis 6 Prozent) sind ausreichend ernährt, und die kärglichen Wasserrationen entsprechen schon lange nicht mehr den Mindesthygieneanforderungen. Wen wundert es, dass unter diesen Umständen Seuchen wie Polio ausbrechen? Die «Verantwortlichen» fanden keine bessere Lösung als eine vorübergehende Feuerpause, um die Kinder gegen Polio zu impfen. Doch wie sinnvoll können solche Massnahmen sein?
Der «Kampf» gegen Mikroorganismen begann zu einer Zeit, als man noch nicht einmal wusste, dass sie existieren. Der erste «totale Sieg» kam nach einem fast zweihundertjährigen Krieg (1796 bis 1979) mit dem Pockenvirus und blieb – vorerst – der einzige. Die Pocken haben den Ruf, die erste Krankheit zu sein, welche die Menschheit mit der unschätzbaren Hilfe von Impfungen ausgerottet hat. Die Tatsache, dass das Virus nicht zurückgekehrt ist, führt dazu, dass wir seine Ausrottung dokumentieren, obwohl es auch andere Erreger gibt, die nicht zurückkamen, wie etwa das gefürchtete H1N1-Grippevirus, das ebenfalls viele Opfer forderte und nach dem Massaker von 1918 spurlos und ohne Impfung verschwand.
Zur Person
Steliana Huhulescu
Die Autorin dieses Artikels, Steliana Huhulescu, ist Fachärztin für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin und war langjährige Abteilungsleiterin bei der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), Leiterin der Nationalen Österreichischen Referenzzentralen für Listeriose, Cholera, Diphtherie-Labor und Gonokokken, stellvertretende Leiterin der Nationalen Österreichischen Referenzzentrale für Clostridium difficile und langjährige Leiterin des binationalen Konsiliarlabors für Listerien Deutschland/Österreich. In dieser Zeit hat sie diverse Fachartikel mitverfasst. Seit Mai 2020 ist die gebürtige Rumänin in Rente, beschäftigt sich aber weiterhin mit medizinischen Themen.
Das Ziel mehrmals verfehlt
Warum konnte die Wissenschaft trotz bemerkenswerten Fortschritten der Liste der Impf-Ausrottungen nichts mehr hinzufügen? Hohe Foren haben immer wieder gesagt, dass es nicht mehr lange dauere, und die Menschheit werde auf die Ausrottung einiger von Mensch zu Mensch übertragbaren Krankheiten stolz sein. Eine dieser Krankheiten ist Polio (Kinderlähmung), eine andere sind die Masern. Mehrmals verkündete die WHO, wir seien dem Ziel sehr nahe, doch es kam immer etwas dazwischen, das alles durchkreuzte: Mal irgendwo ein Konflikt, mal einige Bevölkerungsgruppen, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht impfen liessen. Die Frage des Impfstoffs an sich wurde jedoch nie angesprochen.
Wieso war ein derart durchschlagender Erfolg bei den Pocken möglich und warum konnten wir ihn nicht reproduzieren? Was, wenn dieser Sieg nur reiner Zufall, das Naturwerk oder das Ergebnis mehrerer Umstände wäre? Wie kann man einen Triumph wiederholen, ohne genau zu wissen, wie man dorthin gelangt ist?
Verbesserte Lebensbedingungen trugen wichtigen Teil bei
Es heisst, dass die Pockenausrottung zwei Jahrhunderte erforderte (obwohl die WHO ihren Ausrottungsplan erst 1967 verstärkte). Parallel zum Pockenimpfstoff gab es auch andere, die sich gegen die grossen Seuchen der Menschheit richteten – Cholera, Pest, Anthrax, Typhus, Keuchhusten, Tetanus, Diphtherie oder Tuberkulose –, deren Ergebnisse jedoch nicht immer den Erwartungen entsprachen. Mit Ausnahme von Diphtherie und Tetanus hält das (partielle) Versagen anderer Impfstoffe bis heute an. Glücklicherweise wurden inzwischen die Antibiotika entdeckt, was den vorübergehenden Verzicht auf antibakterielle Impfungen ermöglichte. Gegen die Viren hingegen wurden die Impfkampagnen weitergeführt, aber mit welchen Ergebnissen? Es gibt Berichte über spektakuläre Rettungen von Millionen von Leben, aber … inwieweit haben die Impfstoffe dazu beigetragen und in welchem Ausmass andere Faktoren, die parallel verliefen (etwa die Verbesserung der Lebensbedingungen und der Hygiene, was eine Stärkung der Immunität und eine Verbesserung der Volksgesundheit bedeutete)? Es ist zwar schwierig, eine Korrelation in eine Kausalität umzuwandeln, aber dies gilt auch für Impfstoffe.
Impfungen setzten zeitgleich mit dem «Wirtschaftswunder» ein
Mit Ausnahme der Diphtherie wurden die Impfungen erst nach dem Zweiten Weltkrieg in grossem Umfang eingesetzt, praktisch parallel zum «Wirtschaftswunder». Es wird gesagt, dass die Masern keine harmlose Kinderkrankheit sind, da es zu einer vorübergehenden Immunschwäche kommt, was schwere Komplikationen nach sich zieht. Die Aussage stimmt nur zur Hälfte, da diese Risiken eher für «Drittweltländer» gelten, in denen die Letalität 3 bis 5 Prozent beträgt. In der «anderen» Welt sprechen wir von 1 bis 3 Todesfällen pro 10’000 Erkrankungen. Impfbefürworter präsentieren beeindruckende Grafiken über spektakuläre Senkung der Sterblichkeit (um 99 Prozent), aber … das ist die Schlussfolgerung, wenn man mit der Lupe und nur einen schmalen Ausschnitt betrachtet.
Aus der Ferne und über den gesamten Zeitraum (1900 bis 1963) erkundet, fällt etwas anderes auf: Als der Masernimpfstoff auf den Markt kam (in den 60er/70er Jahren), lag die Letalität ohnehin nahe bei Null. Auch ohne den Impfstoff war die Sterblichkeitsrate um 98,5 Prozent gesunken! Die den Impfstoffen zugeschriebene 99-prozentige Reduktion (einige behaupten sogar, dass der Impfstoff den Abwärtrend der Sterblichkeitskurve künstlich verlängert hätte) bezieht sich also auf die verbleibenden 2 Prozent. (Ausserdem erlangen mindestens 10 Prozent der Geimpften keine Immunität und erkranken dennoch, was bedeutet, dass der Impfstoff kein Allheilmittel ist.)
Masernimpfung schützt in Afrika schlechter als im Westen
Diese Situation ist in den meisten Industrieländern und bei vielen Erkrankungen anzutreffen. In Afrika ist der Rückgang (sofern vorhanden) viel bescheidener und beträgt nur 30 Prozent. Womöglich gibt es verschiedene Ursachen für die schlechtere Wirksamkeit: die Nichteinhaltung der Kühlkette für die Impfstoffe, das niedrigere Impfalter oder die höhere Exposition den Erregern gegenüber, was einer erhöhten Dosis gleichkommt. Hinzu kommt, dass ein schwaches Immunsystem einen Selektionsdruck auf den Erreger ausübt und ihn so zu Flucht-Mutationen «zwingt».
Das von Experten vorgeschlagene Impfpaket deckt seltene und sehr seltene Erkrankungen in Industrieländern ab, mit Häufigkeiten zwischen 1:100’000 und 1:10’000’000 und einer Sterblichkeit von unter 2 pro Million. So werden mehrere Millionen Impfungen mehrere Jahre hintereinander benötigt, um einen Tod zu verhindern. (Vorausgesetzt, es sind die Impfstoffe, die es tun!)
USA impfen am meisten – und haben die höchste Kindersterblichkeitsrate
Für andere Kinderkrankheiten wie etwa EHEC [eine bestimmte Art von Coli-Bakterien – Anm. d. Red.], Hirnhautentzündung oder Tuberkulose, die vor allem bei Kindern mit einem schwereren Verlauf und einer höheren Letalität einhergehen, gibt es keine (wirksamen) Impfungen. Diese Krankheiten scheinen keinen Wettbewerb zwischen Impfherstellern zu entfachen, wie es bei Covid-19 der Fall war. Warum wohl? Apropos Todesfälle bei Kindern: Laut Statistik in der EU, im Herzen der Zivilisation, sterben die Kinder ab einem Jahr am häufigsten bei Verkehrsunfällen, durch Ertrinken oder Verbrennen. In den USA sind es die Schusswaffen, und anderswo sind es Infektionskrankheiten, Drogen, Kriege und Hunger.
In Ländern, die intensiv impfen, ist die Kindersterblichkeitsrate gemäss einer Studie in der Fachzeitschrift «Human & Experimental Toxicology» höher als in Ländern mit niedrigeren Impfraten. Ein solches Beispiel liefern die USA, das Land mit der höchsten Impfrate weltweit: 26 Dosen vor dem ersten Geburtstag! Man sollte meinen, die Kindersterblichkeitsrate – ein hervorragendes Mass für das sozioökonomische Gesundheitswohl – sei deutlich niedriger. Tatsächlich belegen die USA aber den letzten Platz unter den 34 in die Studie einbezogenen Ländern (mit Impfraten von 90 bis 99 Prozent).
Die Anzahl der für Babys empfohlenen Impfdosen in einem Land (waagrechte Skala unten) und die Säuglingssterblichkeit (Todesfälle / 1000, senkrechte Skala links) korrelieren: Je mehr Impfdosen, desto höher die Säuglingssterblichkeit. Ein ursächlicher Zusammenhang ist damit nicht bewiesen.
Der Preis der Pockenimpfung
Darüber hinaus wurde eine statistisch signifikante Korrelation zwischen der Anzahl der Impfdosen und der Rate plötzlicher ungeklärter Todesfälle bei Säuglingen (SIDS) festgestellt. Man kann kaum an Zufälle glauben, wenn 58 Prozent der plötzlichen Todesfälle innerhalb der ersten drei Tage und 78 Prozent innerhalb einer Woche nach der Impfung auftreten. Die Studie mit dieser makabren Entdeckung stammt aus dem Jahr 2011 und wurde heftig kritisiert. Die Autoren replizierten sie 2019 mit aktualisierten Daten aus 46 vergleichbaren Staaten und die zitierte Korrelation … blieb bestehen. Die Experten stellten zwei Hypothesen für dieses Paradoxon auf: Einerseits die biochemische Toxizität (Zusatz- und Konservierungsstoffe, Adjuvantien, Stabilisatoren, Antibiotika, Inaktivatoren usw.) und andererseits die synergistische Toxizität (durch gleichzeitige oder unmittelbar aufeinanderfolgende Impfungen) oder die additive Toxizität (durch Überimpfung).
Wer diese Ergebnisse anzweifelt, kann einen weiteren Blick riskieren und wird das gleiche Phänomen beim berühmtesten aller Impfstoffe bemerken: dem Pockenimpfstoff. Die Zahl der durch den Impfstoff verursachten Todesfälle liegt nicht weit unter der Zahl der durch das Virus verursachten. Zwar hat die Impfung viele vor der Erblindung gerettet, brachte aber eine neue Pathologie mit: schwere Komplikationen wie Impf-Hirnhautentzündung, Impf-Hirnentzündung oder Impf-Myokarditis (Herzmuskelentzündung). Ein ziemlich hoher Preis!
Die richtige Wahl der Eintrittspforte
Um zu verstehen, warum die Eliminierung anderer Krankheiten nicht funktioniert, sollten wir vielleicht zunächst verstehen, wie es bei den Pocken «funktioniert» hat. War es die Massenimpfung? Ging die Seuche sowieso ihrem Ende entgegen? Wurde das Virus selbst – ein Dinosaurier unter den Viren, etwa so gross wie ein Bakterium – «faul» und war nicht mehr in der Lage, so häufig zu mutieren? Oder war es die Tatsache, dass die Menschen lernten, die Hygieneregeln einzuhalten und sich dadurch ihre Lebensbedingungen und das Wohlbefinden verbesserten?
Vielleicht ignorieren wir einige Grundregeln. Womöglich ist es nicht egal, welche Art von Impfstoffen wir auf welchem Weg in den Körper einschleusen. Manchmal sind es lebende (abgeschwächte), manchmal tote (inaktivierte), und manchmal nur Fragmente der jeweiligen Erreger oder ihre inaktivierten Giftstoffe. Würden wir sie lebend einführen – zum Beispiel die Polio-Schluckimpfung–, wäre die Wirkung zwar besser, aber wir würden riskieren, dass es zu Poliofällen kommt. Die Kinderlähmung ist eine Schmierinfektion, und unter prekären Hygienebedingungen könnte sich das Impfvirus leicht verbreiten.
Die beste Immunabwehr entsteht durch das Durchstehen der Krankheit. Wenn wir trotzdem impfen müssen, wäre es ideal, die Erkrankung selbst nachzuahmen. Das heisst: Wenn die Krankheit über den Verdauungstrakt übertragen wird, ist der Weg über den Mund sinnvoller als die Spritze. Wenn der Erreger die Atemwege «bevorzugt», können wir nur schwer durch die Injektion eine Immunität hervorrufen. Der Tuberkulosebazillus hat es uns in vollem Umfang gezeigt. Gegen Tuberkulose-Lungenerkrankungen bietet die Tuberkulose-Impfung (BCG-Impfung genannt) keinen Schutz, allenfalls gegen ihre Komplikationen wie Blutvergiftung oder Meningitis. Das Impfen ohne Rücksicht auf die Eintrittspforte gleicht dem bis an die Zähne bewaffneten Warten auf einen Einbrecher, aber stets am Hintereingang, während er ausnahmslos durch die Vordertür oder durchs Fenster eindringt und nicht die Absicht hat, je anders vorzugehen.
Mehr Hygiene und bessere Lebensbedingungen sind effektiver
Impfstoffe sind nutzlos, wenn die Erkrankungen mild und selten sind. Wenn es drei Erkrankungsfälle pro Hunderttausend und einen Todesfall alle vier Jahre gibt, ist es einfach, die «Wirkung» zu beweisen! In armen Ländern ist die Wirkung nicht so spektakulär, weil ein Impfstoff das Immunsystem nicht in dem Mass stärkt wie ein menschenwürdiges Leben, der Zugang zu Trinkwasser und hochwertiger Nahrung. Die Cholera kann nicht durch Impfungen bekämpft werden, solange Menschen mit Fäkalien verunreinigtes Wasser aus Flüssen und Seen trinken müssen. Eine Impfung ohne diese Verbesserungen ist so, als würde man ein abgemagertes, hungerndes Tier auspeitschen und von ihm verlangen, aussergewöhnlich gute Leistungen zu erbringen.
Anstatt wahllos gegen alles zu impfen, was wir unter dem Mikroskop sehen, sollten wir uns besser auf die Prävention wirklich gefährlicher Krankheiten konzentrieren, die Millionen von Menschenleben fordern, wie Malaria oder Tuberkulose. Man kann nicht auf einem Müllberg sitzen oder bis zum Hals in der Kanalisation stecken und sich alles Neue injizieren, was die Pharmaindustrie produziert. Das Saubermachen wäre viel effektiver.
Kinder vor den häufigeren Gefahren schützen
Deshalb gilt auch hier: Weniger ist mehr! Weniger und besser sortierte Impfstoffe und mehr Prävention durch Hygiene, Aufklärung und einen gesunden Lebensstil. Der Rest ist die Aufgabe des Immunsystems. Es hat keinen Sinn, uns gegen sehr seltene Krankheiten mit minimaler Sterblichkeit zu «immunisieren», aber es ergibt Sinn, die Kinder besser zu beaufsichtigen und sie vor echten Gefahren zu schützen. Nachlässigkeit und Unwissenheit der Erwachsenen einerseits und Armut und Ungleichheit andererseits gehören zu den Hauptursachen für schwere Erkrankungen oder Todesfälle, und diese müssen wir bekämpfen. Leider (oder zum Glück?!) gibt es keine Impfstoffe dagegen!